Steine essen – gesund oder dekadent?

Ist Steine essen gesund? Oder handelt es sich beim Lehm essen schlicht um einen weiteren Modetrend, wie Essen von Plazenta sowie Speisen mit Gold und Silber? Ob auch du zum steinreichen Koch kulinarischer Hochgenüsse wie gebratener Steine taugst, das erfährst du ebenso wie Herkunft und Heilwirkung von Erdkeksen.
Kochen mit Steinen und Lehm als Notlösung und Detox
Tatsächlich ist in vielen Teilen der Welt Steine und Lehm essen eine alte Tradition. Ob Asien, Afrika, Europa oder Amerika, Erde hilft gegen Hunger und bindet Unreinheiten im Verdauungstrakt. So gelangen toxische Stoffe nicht in den Blutstrom, sondern werden auf der Toilette ausgeschieden. Ein Fun Fact ist, wir inhalieren und schlucken unbewusst täglich teilweise bis zu einem Teelöffel aufgewirbelten Erdstaub aus der Atemluft. Das passiert vor allem in wenig betonierten und zugleich trockenen Gegenden. Leider gibt es auch eine Kehrseite, absichtliches Essen grösserer Mengen essbarer Erde verhindert die Aufnahme wichtiger Wirkstoffe wie Eisen, was Mangelernährung bewirkt. Daher sollte man nicht mehr als 300 Gramm Lehm pro Tag essen.
In welchen Ländern essen Menschen Erde oder Steine?
Im Hochland der Anden ist es seit mindestens 2.500 Jahren üblich, frisch geerntete Kartoffeln vor dem Essen in eine schmackhafte Sosse aus Ton, Salz und Wasser zu tunken. Der steinige Hochgenuss enthält Smektiten-Mineralien und schützt damit vor den Glykoalkaloiden der gegen Kälte unempfindlichen wilden Kartoffeln. Durch diese Entgiftung verhindern die Einwohner beim Essen grösserer Mengen wilder Kartoffeln sonst unvermeidliche Nebenwirkungen wie Durchfall, Erbrechen, bis hin zu Lähmungen und Tod. In Peru ist Tonsosse auch beim Essen bestimmter Wurzeln beliebt. In den Staaten von Amerika assen die afrikanischen Sklaven zu fünfzig Prozent Erde. Auf Inseln wie Haiti sind bis heute kalziumreiche Lehmkekse mit Fett der Hit.
In Asien war in Ländern wie dem heutigen Persien und Russland antibakterielle und antivirale Erde zum Essen bekannt. Auch ist in der chinesischen Provinz Hunan früher den Seefahrern des Stammes Tujia am Fluss Jangtse und Umgebung gelegentlich das Essen ausgegangen. Dann wandten sie einfach flache, gewaschene Steine vom Fluss mit Öl oder Schmalz in einer Pfanne hin und her. Darauf gaben sie wilde Kräuter und Gewürze und gossen alles mit Wasser auf. So konnten sie wenigstens etwas essen. Nebenbei lutschten sie die mineralischen Steine gründlich ab und warfen sie anschliessend weg. Daher stammt der Name des mit Stäbchen gegessenen Steingerichts Suo Diu, das heisst übersetzt "abschlecken und wegwerfen". Durch Social Media befeuert sind inzwischen gebratene Steine ein neuer Trend auf Nachtmärkten in der Provinz Hubei. Chinesen bieten das originelle Pfannengericht verfeinert mit Karotten, Kohl, Zwiebeln, aber auch Chilly, Ingwer, Knoblauch und Shiso an. Die abgelutschten Steine darf man als Andenken mitnehmen.
Im ehemaligen Nubien und vielen Ländern Afrikas unterhalb der Sahara wie Kenia, Sambia und Tansania essen dreissig bis achtzig Prozent der Bevölkerung Heilerde. Um graue Steine sowie weisse, gelbe oder rote Speiseerde zu finden, suchen Einheimische am Flussufer, Termitenhügel, Wasserloch, Steinbruch oder Markt danach. Daraus formen sie mit Wasser und Lehm handliche Rollen oder hübsche Erdküchlein, die dann auf Gestellen trocknen. Nun sind sie bereit zum Verkauf. Auch Kinder und Männer lieben Lehmsteine. Jedoch kaufen sie vorwiegend schwangere Frauen gegen Übelkeit und Sodbrennen, oder stillende Mütter. Derweil essen in Madagaskar arme Einwohner den Lehm vermischt mit Tamarindensaft. Im früheren Europa war Esserde sehr bekannt, von Spanien und Portugal über Italien und Österreich bis hoch nach Schweden. Deutsche strichen sich sogar weiche Steinbutter aufs Brot. Auch Aborigines im Norden und Minang Nyungar (Minnal Yungar) im Südwesten von Australien waren Erdesser.
Welche Vor- und Nachteile hat Erdessen wie in der Steinzeit?
Seit Jahrtausenden fördert Essen mineralreicher Heilerde wie Bentonite, Kaoline und Zeolithe in kleinerer Menge die Verdauung der Menschen und leitet Schwermetalle aus. Auch Schmetterlinge, Vögel, Fledermäuse, Affen, Tapire und Elefanten essen Lehm und Steinchen. Genauso verspeisen Pferde mit akutem Mangel an Vitamin B12 genüsslich Erde. Man beachte, Affen, die Erde essen, haben weniger Parasiten und gesündere Nachkommen. Bei Menschen hilft nachhaltige Geophagie, also das Verlangen nach essbarer Erde, einerseits effektiv gegen Magnesiummangel. Indes ist sie bei Eisen- oder Calciummangel weniger hilfreich. Ausserdem hemmen leider Wirkstoffe der Antibabypille und Medikamente gegen Diabetes die Aufnahme von Vitamin B12. Andererseits können auch Verstopfung, Durchlöcherung des Darmes und sogar Darmverschluss unerwünschte Folgen haben. Ebenso sind Abmagerung, Blinddarmentzündung sowie ein unerwünschter Hängebauch Nebenwirkungen von Steinen zum Essen wie weissem Kaolin. Um Bauchschmerzen, Bluthochdruck und verdicktes Blut sowie Schaden an Leber und Nieren zu vermeiden, sollte man viel Wasser trinken. Denn sonst könnten Leber und Milz anschwellen. Wichtig ist auch, dass keine Würmer von Katzen und Hunden oder Schwermetalle wie Blei und Quecksilber vom Boden in die Esserde geraten.
Fazit
Wer sich gerne einen Jux bei Einladungen erlaubt, kann eine Gemüsepfanne mit Steinen anbieten. Auf die versteinerte Miene der Gäste darf man gespannt sein! Ich könnte mir sogar eine Gemüsesuppe mit Flusskieseln als originelle Methode zum Abnehmen oder Steinlutschen zum Abgewöhnen vom Rauchen vorstellen. Und Eltern können aufatmen, schliesslich wirkt eine gute Lehmerde reinigend auf den Magen. Zudem entwickeln Kinder aus ländlichen Gegenden, die öfter mit Erde im Mund zu tun haben, im Schnitt weniger Allergien als Stadtkinder.
Bildquelle: Neven Krcmarek / unsplash.com